Schon oft haben wir die Wichtigkeit des Gebetes im Christentum betont. Auch wenn das Zeitfenster, das wir dem Gebet widmen können, klein ist, auch wenn wir nicht jeden Tag den Rosenkranz beten können, so ist es nicht schwer, ein klein wenig Zeit zu finden, uns zu sammeln und zu Gott zu sprechen. Tatsächlich ist es wichtig, solche Momente im Alltag zu finden, um ein gelassenes Leben zu führen und mit größerer spiritueller Kraft durch die guten und schlechten Dinge des Lebens zu gehen.
Manchmal gibt s kleine Tricks, um uns daran zu erinnern, dass wir diese Momente brauchen. Gebetsringe sind zum Beispiel eine tolle Erinnerung. Täglich als modisches Accessoire und als Talisman getragen, sind auf ihnen die Worte der bekanntesten Gebete eingraviert. Und auch wenn ein solcher Ring das Gebet nicht ersetzen kann, so gibt es doch ein Art Kanal zu Gott, der immer offen ist. Jedes Mal, wenn unser Blick auf den Ring fällt, jedes Mal, wenn wir die alten, mächtigen eingravierten Worte sehen oder auch nur, wenn wir uns des Ringes an unserem Finger bewusst werden, hören wir ein Gebet in unserem Geist und alles andere hört aus, wichtig zu sein.
Das Gebet, das vermutlich auf den meisten Gebetsringen zu finden ist, ist auch sehr alt und für Christen wichtig, denn es ist jenes, das Jesus selbst seinen Jüngern beibrachte – das Vaterunser (Matthäus 6,9-13 und Lukas 11,2-4). In Matthäus 6, 9-13 lesen wir: „ So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde. Gib uns heute das Brot, das wir brauchen! Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben! Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen!“
Das ist es, das Gebet aller Gebete, das wir als erstes beigebracht bekommen, wenn wir klein sind und die Bedeutung noch gar nicht voll erfassen können. Und mehr als alle anderen ist dieses Gebet voller Bedeutung, die das Gebet über die bloßen Worte, aus denen es besteht, hinaus erhebt; die Formulierungen, an deren Klang wir gewöhnt sind, die oft mechanisch, manchmal hastig wiederholt werden, werden von manchen als Zauberspruch wahrgenommen.
Doch das Vaterunser ist mehr als das: es ist Gott, der uns lehrt, uns mit unserem Herzen Ihm zuzuwenden, in allem, was wir uns wünschen. Für Gott ist es nicht wichtig, ob wir die Worte auswendig können oder ob wir Ihn mit unserer schönen Stimme anrufen. Worte sind bloß Worte, wenn dahinter kein Herz steht.
Matthäus schreibt: Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“ (Matthäus 6, 6-8)
In diesem Sinne ist das Vaterunser nicht nur ein Gebet, sondern auch eine Anleitung, wie wir beten sollen. Paradoxerweise könnten wir eine persönliche Version des Vaterunsers, ausarbeiten, um uns an den himmlischen Vater zu wenden.
Vaterunser
Aber schauen wir uns das Vaterunser genauer an, seine Worte, seine Formel.
Das Anfang sagt schon alles: Vater. So wenden wir uns an Gott, den Allmächtigen, Erschaffer aller Dinge, Anfang und Ende der Existenz. Er ist so groß, Er ist alles und wir nennen ihn Vater, mit einer Intimität, einem Selbstbewusstsein, das völlig inakzeptabel und unvorstellbar wäre, wenn Er nicht gleichzeitig und vor allem der Gott der Liebe wäre. Die Eröffnung des Vaterunser definiert schon unsere Beziehung zu Gott: Ein Sohn, der sich an seinen Vater wendet, mit Respekt und Bezug, doch noch viel mehr mit vollkommenem Vertrauen und Liebe, mit der Sicherheit, immer gehört zu werden, vergeben zu werden und willkommen zu sein, ein sicherer Platz, um zurückzukehren und Schutz zu finden.
Doch das ist nicht alles. Gott ist nicht nur Mein Vater. Er ist der Vater alles Frauen und Männer, ohne Unterschied. Es ist egal, wo jemand herkommt, wie seine Geschichte aussieht und ob es Gutes oder Schlechtes erlebt hat. Gott existiert für ihn oder sie und er ist stets bereit, ihn willkommen zu heißen und zu umarmen. Aus diesem Grund sagen wir Unser. Seine Liebe ist bedingungslos, grenzenlos und richtet sich an all Seine Kinder, an jedes einzelne in gleichem Maße und berücksichtigt habe die Eigenheiten eines jeden, seine Geschichte, seine Schwächen und Ängste. Seine grenzenlose Großzügigkeit hat ihn dazu veranlasst, sich für den Menschen zu geben, sich selbst zu opfern, um uns Hoffnung und Erlösung zu geben. Auch aus diesem Grund ist er Unser, denn aus seinem Blut und seinem Leib ist das ewige Band.
Nach der Eröffnung, geht das Gebet mit Phrasen weiter, die Gott identifizieren, nicht nur als Vater, sondern als Herr über alles. Wir nennen ihn Vater, wir sagen, es sei Unser und doch vergessen wir nicht seine Größe, sein allumfassendes, allwissendes Wesen, Herr über die Erde und den Himmel. Tatsächlich sagen wir „der du bist im Himmel“ nicht, um zu sagen, dass er fern ist, sondern um uns daran zu erinnern, wo er herkommt. Er weiß alles, Er sieht alles, Er kann alles tun und nichts davon hält Ihn davon ab, unser Vater zu sein.
Drei Statements
Von dieser Stelle an gibt es drei Statements, die unsere Verpflichtung zeigen: Bezeugen – „Geheiligt werde dein Name“, Treue – „Dein Reich komme“ und Liebe und totales Vertrauen in Gott – „Dein Wille geschehe“.
Nehmen wir zuerst „Geheiligt werde dein Name“, denn so sollte es auch sein, weil die Aufgabe eines jeden Gläubigen darin besteht, den Namen Gottes Ehre zu machen und Ihn auch jenen bekannt zu machen, die Ihn nicht kennen. Mit dieser Formel bewahren wir den Namen Gottes vor Missachtung und vor Blasphemie durch jene, die Ihn nicht anerkennen, wir beten Ihn an mit Respekt und Freude und hoffen, dass Er von allen respektiert und geliebt wird.
Auch „Dein Reich komme“ ist eher ein Wunsch für uns selbst, als für Gott. Er braucht unsere Ermutigung sicher nicht. Doch die Hoffnung, dass Sein Königreich kommt, lässt uns einerseits unsere Hoffnung manifestieren, dass Jesus zurückkehren wird, um die Menschheit zu erlösen. Andererseits lässt es uns jeden Tag unser Bestes geben, denn das Reich Gottes existiert um uns herum, auch dank unserer guten Taten, den guten Dingen, die wir für unsere Brüder tun. Der Himmel kann viel näher sein, als man denkt. Wenn wir nur versuchen, das zu verwirklichen, bauen wir jeden Tag ein Stück des Himmels auf.
Die nächste Formel „Dein Wille geschehe“, ist auch wieder eher an uns, als an Gott gerichtet, denn wir lernen jeden Tag, den Willen Gottes zu erkennen und ihn mit Bescheidenheit und Glauben wahrzunehmen. Wenn wir sagen, „Dein Wille geschehe“, tun wir nichts anders, als anzuerkennen, dass Gottes Wille übergeordnet ist, sein großartiges, immenses Design, verglichen mit unserem eigenen irrigen, selbstsüchtigen Willen. Wir werden niemals weitsichtig genug sein, niemals weise genug, um seinen großen, göttlichen Plan zu erfassen, doch wir können Teil seiner Erfüllung sein, indem wir ihn anerkennen.
Das wird noch einmal klargestellt, wenn es dann heißt „im Himmel, wie auf Erden“: so wie im Himmel die Engel den himmlischen Thron umringen und Gott in jedem Moment preisen, sollte es auch auf der Erde sein. Es ist eine weitere Art, uns daran zu erinnern, dass das Paradies hier auf Erden beginnt und dass es an uns ist, es mit Gottes Wohlwollen aufzubauen.
Drei Fürbitten
Drei Fürbitten folgen: Die Bitte um Gottes Unterstützung – „unser täglich Brot gib uns heute“, um Vergebung der Sünden „und vergib uns unsere Schuld“ und schließlich um Erlösung – „und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse von dem Bösen“. „Unser täglich Brot gib uns heute“ ist eine Bitte darum, uns zu geben, was wir wirklich brauchen, was wirklich von Bedeutung ist. Keine Kinkerlitzchen, nichts Nutzloses, nichts Irreführendes. Wir leben in einer Zeit, die dem Überfluss, dem Unwichtigen gewidmet ist, was oft zulasten der wirklich wichtigen Dinge geht. Für uns Gläubige sollte es nichts Wichtigeres geben, als das Brot, den Leib Christi, das Symbol der Erlösung, das Gott uns geschickt hat. Und weil wir auch echte körperliche Bedürfnisse haben, die dafür sorgen, dass wir am Leben bleiben, könnte niemand besser entscheiden, was wir für unser Überleben brauchen, als Gott selbst. Also bitten wir Gott darum, uns zu geben, was wir brauchen und befreien und somit auch von überflüssigen Wünschen.
Wir bitten Gott auch darum, und unsere Sünden zu vergeben, doch nicht nur das. Wir bitten Ihn auch darum, uns die Fähigkeit zu verleihen, jenen zu vergeben, die gegen uns waren. Wir sind die ersten Ansatz unserer Erlösung: Wenn wir nicht lernen, unseren Feinden zu vergeben, wie können wir dann erwarten, dass Gott und vergibt? Die Formel lautet „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ und bedeutet „mach mich wie Jesus, der jenen vergab, die Ihn geißelten, kreuzigten und hinrichteten“. Für sie hatte er nur Worte der Vergebung und Liebe. Kein Gebet ist von Wert, wenn es nicht von guten Taten begleitet wird, von ernsthafter Wiederholung und von dem Willen, Gutes zu tun.
Auch die dritte Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“ bezieht sich darauf, dass wir unser Leben mit Rechtschaffenheit und Hingabe führen müssen, dass wir Stärke und Courage zeigen müssen, wenn wir gegen Widrigkeiten ankämpfen und Geduld und Weisheit gegenüber Sünden und Verführungen durch den Teufel. Darum beten wir zu Gott, nicht weil er uns vor den Verführungen schützt, sondern weil er uns stark gegen sie macht und wir sie so überstehen können.
Jesus hat den Kampf hier unten gewonnen, für uns alle. Sein ist Herrlichkeit, für immer und ewig. Wenn wir Gott bitten „erlöse uns von dem Bösen“, bitten wir Ihn um Unterstützung im täglichen Kampf, denn wir sind noch nicht so stark und groß wie Jesus. Und wir haben manchmal Schwierigkeiten, gegen das Böse mit seinen Täuschungen, Verführungen und Schwierigkeiten zu kämpfen. Wieder einmal bitten wir Gott nicht, für uns zu kämpfen, sondern uns stark genug zu machen, um im alltäglichen Kampf zu bestehen. Als Kinder haben wir Angst vor den Monstern in der Dunkelheit und wir bitten unseren Vater um Hilfe und Schutz. Und so schließt das Gebet wie es beginnt – in bequemer Umarmung Gottes unter seinem freundlichen Blick.
Das Vaterunser ist ein Gebet, doch es ist auch eine Art Heimkehr in das wertvollste Zuhause, das wir jemals haben können, den sichersten Platz, den wir jemals kennenlernen werden.